1. kingdom come
2. the curtain has fallen
3. join the great majority
4. give up the ghost
life is a highly overrated phenomenon
5. be given a gentle push
6. the great adventure
Literaturverzeichnis samt Linx
Inhaltsverzeichnis und Gästebuch



2. the curtain has fallen - Ein Apokalyptiker des atomaren Zeitalters: Ulrich Horstmann"


"Was für eine merkwürdige Figur, dieser christliche
Denker"
(Deleuze über Johannes v. Patmos)

2.1. Zur Vorgehensweise:

Der für diese Arbeit wichtigste Text Ulrich Horstmanns 15 ist dessen bekanntestes und einflussreichstes Buch: Das Untier, erschienen 1983 im Medusa Verlag (Wien/Berlin) und 1985 als Taschenbuch bei Suhrkamp. Weitere Arbeiten von Horstmann werden gegebenfalls herangezogen, eine ausführliche Bibliographie findet sich bei Autze/Müller (2000). Ebendort finden sich auch ausführliche Angaben zur Person Horstmann. 16

Als Leitfaden für die Befragung der Horstmannschen Position im Untier dient ein Aufsatz Horstmanns aus dem Jahre 1989. Bevor ich detailliert auf diesen Aufsatz eingehe, gebe ich einen kurzen Überblick über Aufbau und Inhalt von Das Untier.

Die "Konturen einer Philosophie der Menschenflucht" (so der Untertitel des Untiers) verteilen sich über knapp mehr als 100 Seiten, die in 21 Kapitel 17 gegliedert sind. Der Text wird von zwei programmatischen Visionen im ersten bzw. letzten Kapitel eingerahmt. Am Anfang wird die Unausweichlichkeit der Apokalypse beschworen ("die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle", Horstmann 1983, S.7) und als eigentlicher Sinn der Geschichte, die eine Geschichte der Greuel ist, erklärt. Am Ende des Textes steht die Vision des menschenleeren und leblosen Planeten, auf dem "die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt" (Horstmann 1983, S.111) ist. Dazwischen erfolgt eine Rekonstruktion abendländischer Geistesgeschichte unter dem durchgängigen Gesichtspunkt einer von Horstmann als verschüttet bezeichneten Tradition der Anthropofugalität. Diese begreift den Menschen als evolutionäre Fehlentwicklung, die sich ihrer Deplaziertheit trotz vorherrschendem Anthropozentrismus immer wieder bewusst wird. Erste Spuren eines Deplaziertheitsgefühls ortet Horstmann im mythischen Denken (etwa in der Edda). Die untergründige Ahnung des Menschen (des Untiers), dass er besser nicht da wäre, zeigt sich in Folge im Laufe der Jahrhunderte, die Horstmann Revue passieren lässt, bei einer Reihe von Denkern, die mehr oder weniger Einsicht in die Sinnlosigkeit menschlicher Existenz aufbringen. 18

Das dritte Feld für den Beleg der anthropofugalen Theorie neben Mythos und Philosophie ist der permanente Kriegszustand, als den Horstmann die Geschichte begreift ("Eine sich Jahrtausend um Jahrtausend fortsetzende Litanei des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens", Horstmann 1983, S.7). Einen Ausweg aus dem schier endlos scheinenden durch Menschen verursachten Leiden eröffnet schließlich die moderne Wissenschaft mit ihrer fortgeschrittenen Waffentechnik, die die Herbeiführung der Apokalypse ermöglicht, die sich als das eigentliche und im Grunde immer schon vorhandene Gattungsziel herausstellt.



 

2.2. Absender und Adressaten der Apokalypse

"And if there be a hell upon earth, it is to be found in a melancholy man`s heart."
Robert Burton

Der angesprochene Aufsatz von Horstmann aus dem Jahre 1989, der als Leitfaden für die vorliegende Arbeit dient, bietet eine Zusammenfassung und erläuternde Rechtfertigung, aber auch eine Einschränkung bestimmter Positionen der im 1983 erschienen Untier präsentierten Thesen.
Dieser Aufsatz liegt in mehreren Versionen vor. 19
Da diese Versionen jedoch im Wesentlichen identisch sind, wird in weiterer Folge unter dem Titel Endspiele/Thanatos-Aufsatz stets von einem Text die Rede sein. Eine divergierende Textpassage möchte ich jedoch in zwei Zitaten anführen:

"spätestens seit Veröffentlichung jener 'Konturen einer Philosophie der Menschenflucht', für deren Nachzeichnung auf dem Titelblatt ein ominöses Wesen namens Das Untier die Verantwortung übernimmt, stehe ich in dem Ruch, ein Bruder Lustig des Weltuntergangs, der Menschheitsdämmerung und Apokalypse zu sein. Im Solde des Pentagon oder noch ungleich sinisterer Mächte, so die Einsichten einiger Kommentatoren, obliege ich der Zersetzung von Glaube, Liebe, Hoffnung, rede und zitiere unermüdlich das Unheil herbei, feiere in meinen literarischen Hervorbringungen einen Hexensabbat nach dem anderen und kann es gar nicht abwarten, endlich in Reichweite jenes roten Knopfes zu gelangen, den ich so liebend gern statt des Kugelschreibers befingerte. Bis es soweit ist, halten mich mitfühlende Zeitgenossen mit der einen oder anderen Vortragseinladung bei Laune und legen mir Themen wie Thanatos als Lustprinzip nahe, bei denen ich so ganz nach Herzenslust vom Leder ziehen darf." (Horstmann 1996, S. 25)
"Es gibt Leute, die können das Ausnüchtern nicht leiden - nicht bei sich und noch weniger bei anderen. Deshalb haben sie sich ein Schimpfwort einfallen lassen für diejenigen, die das anstehende Jahrtausendende nicht im Vollrausch des Fortschritts erleben möchten, sondern ihren weltanschaulichen Kater lieber vorher hinter sich bringen: 'Lust am Untergang'.
Nicht daß ich böse wäre, selbst als ein solcher Bruder Lustig verschrien zu sein. Ich habe volles Verständnis für alle diejenigen, die nicht von der Bildfläche verschwinden wollen [...]. Aber der Sache auf den Grund gehen muß man doch einmal." (Horstmann 1991, S. 31)

Diese beiden Zitate sind die jeweils ersten Zeilen zu zwei ansonsten im wesentlichen identischen Texten. Das doppelte Eingangszitat verweist nicht nur auf eine bestimmte Veröffentlichungspraxis sondern vor allem auf ein zentrales Motiv, das sich im Bild des ,Bruder Lustig" in beiden Textvarianten findet.

Dieses zentrale Motiv ist eines der großen Spezialgebiete jeder im weitesten Sinne apokalyptischen Rede: Die Verknüpfung eines katastrophisch gedachten Menschheitsschicksals (des Weltuntergangs) einerseits mit dem persönlichen Schicksal des Autors und andererseits mit dem des/der Adressaten der apokalyptischen Rede. 20

Die Funktionsweise von Apokalypsen liegt zentral in dieser Verknüpfung eines Weltschicksals mit individuellem Erleben. Ein Spannungselement bei der Apokalypse entsteht ja etwa aus der Frage, ob das angekündigte Ende der Welt noch vor dem Ende des jeweiligen Einzelschicksals stattfindet.

Die beiden zitierten Eröffnungen installieren im Eingehen auf Widerstände gegen eine Theorie und den Theorieproduzenten einen Spannungsbogen, der exakt die Kluft zwischen dem Einzelnen (als Autor, Verkünder, Prophet der Apokalypse bzw. als individuell vom Untergang Betroffener) und einer kollektiven Größe (die Welt, die Menschheit, das Leben) nachzeichnet. Im apokalyptischen Programm erfolgt die Überwindung dieser Kluft dadurch, dass in letzter Konsequenz eine verschmelzende Einheit im Untergang hergestellt wird. Die "Lust am Untergang" dürfte sich genau diesem Phänomen verdanken. In den beiden Zitaten bleibt jedoch unklar, was mit Untergang und Lust daran gemeint sein könnte, wenn lediglich behauptet wird, es gäbe beides oder keines.

Festzuhalten bleibt, dass es bei einer Theorie, die "aufs Ganze geht", "Keine halben Sachen" (Brock 1986, S. 182) gibt, d.h. dass der Einsatz des Autors zur Legitimierung der Theorie die eigene Person ist. Daran knüpfen sich mehrere massive Probleme einer Auseinandersetzung mit der Theorie:

Einmal die kurz angedeutete persönliche Betroffenheit des Autors Horstmann. Diese spielt in vielen nach dem Untier veröffentlichten Texten, v.a. in den seinem ironisierenden Selbstverständnis als "Ein halber Literat, ein halber Philosoph, ein halber Philologe" (Horstmann 1991, S. 77) entsprechenden aphoristischen Texten, eine große Rolle. Der Entwicklung Horstmanns vom Apokalyptiker zum "Kulturkritiker" ist das personenbezogene Element derart inhärent, dass ich keine Möglichkeit sehe, Kritik nicht auf einer persönlichen Ebene anzubringen. 21

Ein anderer Effekt des aufs Ganze Gehens ist das Verbürgen der Theorie mit eigener Lebenspraxis. Die Kritik an Horstmann hat ja in der Tat, wie in den beiden Eröffnungen mokiert, genau darauf verwiesen, dass eine Theorie des gewollten Gattungsendes der Menschheit den Urheber notwendigerweise in die Pflicht nimmt, den eigenen Anforderungen zu entsprechen. Gipfelpunkt dieses Ansatzes ist sicherlich die Aufforderung an Horstmann zum Suizid, wie sie der ehemalige österreichische Präsidentschaftskandidat und Zukunftsforscher Robert Jungk in einer Fernsehdiskussion 1991 (Horstmann 1991b) ausgesprochen hat.

Um diese Schwierigkeiten einer Verknüpfung des Autors mit seinem Werk zu umgehen, zielt meine Arbeit im folgenden darauf ab, wesentlich mehr Gewicht auf die Theorie als auf die Person des Theorieproduzenten zu legen. Durch den Druck auf die Theorie wird die Person ohnedies zum Vorschein kommen. Die Verbindung zwischen dem Apokalyptiker und der von ihm verkündeten Apokalypse ist aufgrund des absoluten Wahrheitsanspruchs der Verkündung und der absoluten Realitätsbemächtigung durch das verkündete Geschehen nicht ohne weiteres aufhebbar. Das Modell des Sehers, des Vorab-Wissenden präsentiert eine Person, die eine ihr unabänderbar scheinende Zukunft im vorhinein erfährt. Der umfassende Geltungsanspruch der Apokalypse hat in der herausgehobenen Position ihres Visionärs die individuelle Entsprechung.





Fußnoten



 
15. Von nun an als Horstmann abgekürzt.
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16. Ein kurzer biografischer Abriss: geb. 1949 in Westfalen, Studium von Anglistik, Philosophie, Pädagogik und Geschichte, Dissertation über Poe. Hochschullehrer für Anglistik in Münster, später in Gießen. 1988 Kleist-Preis auf Vorschlag von Kunert. Arbeit als Herausgeber, Feuilletonjournalist, Übersetzer. Veröffenlichung von Gedichten, Romanen. Texte zu Melancholie und Apokalypse.
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17. Die Apokalypse des Johannes hat in der kanonischen Form 22 Kapitel. Wenn man eine Koinzidenz bei der Anzahl und dem Aufbau der Kapitel sehen will, dann scheint es mir am plausibelsten, dass Horstmann das letzte Kapitel des biblischen Textes auslässt, also die "schlußermahnungen und Hinweise auf das baldige Kommen Jesu" (wie die Elberfelder Bibel im Internet das Kapitel überschreibt) streicht. Das vorletzte Kapitel beschreibt das Neue Jerusalem, was der Skizze der vermondeten Erde entspricht, die Horstmann am Ende des Untiers entwirft.
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18. Eine Auswahl aus der umfangreichen Liste gibt Horstmann im Klappentext der Erstausgabe: Voltaire, d'Holbach, Klages, Freud, Foucault, Anders, Cioran.
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19. Eine Variante des Aufsatzes wurde einmal als Referat auf dem Langenfelder Symposion "die Apokalypse denken" 1989 gehalten und publiziert, dann 1996 in einem Katalog zur Ausstellung "Happy End" in der Düsseldorfer Kunsthalle unter dem Titel "Thanatos als Lustprinzip" wiederabgedruckt. Eine andere Variante erschien 1989 in der Beilage zur Frankfurter Buchmesse der taz und danach 1991 in einem Sammelband mit Texten von Horstmann "ansichten vom Großen Umsonst" unter dem Titel "Endspiele. Todestrieb und apokalyptische Simulation". Ich zitiere im Wesentlichen aus dem Katalogtext von 1996.
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20. Dietmar Kamper fragt zu dieser Entsprechung von individuellem Tod und Weltuntergang: "Läßt sich, einzeln und allgemein ein Leben führen ohne die räumliche Metapher des Bogens, die den Menschen wahrscheinlich über den tagtäglichen 'Lauf der Sonne' eingeprägt wurde?" (Ä+K 60/1985, S. 83) Er beantwortet sich die Frage, daß es ein solches Leben zu geben habe oder eben keines, mit seinem letzten Satz: ,Nur wenn die imaginäre Obsession der Geschichte: der geschlossene Raum der Einen Geschichte des Wartens verlassen werden kann, gibt es noch Zukunft" (ebd., S. 88).
Frappant erinnert solche Sonnenprägung natürlich an Sgalambros "Tod der Sonne", der eben keinen Ausweg aus dem ,Bogen" sieht, und das Verglühtsein der Sonne als letztmöglichen "abend" der Natur jetzt schon gegenwärtig sieht, bzw. keine Möglichkeit dieser Vorstellung zu entgehen.
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21. Betroffenheit ist einer der "Kampfbegriffe" der 1980er Jahre. Ich will mich nicht einer Diskussion des Diskurses um Betroffenheit (in Literatur, Friedens- bzw. Ökologiebewegung) widmen. Bemerkenswert scheint mir jedoch eine Übereinstimmung zwischen einem Diskurs des "Werfens und Treffens" ("geworfen", neben "dem" Menschen: "die Bombe", Raketen, Missiles, Wurfgeschosse, etc.; "getroffen": "die" Menschen v.a.), wie er sich z.B. bei Derrida (1985) und v.a. bei Sloterdijk (1994) (im Terminatoraufsatz; Theweleit sieht ihn da auf dem Weg zum Chefdenker der Hardthöhe, Theweleit 1995a, S. 46) findet, und einer ,Betroffenheit" als Beschreibung einer Stimmungslage (wessen auch immer: der ,Bevölkerung", der Eliten, der Individuen). Die Betroffenheit ist eine Art virtuelle Getroffenheit, die Bombe hängt als Damoklesschwert vom Himmel herab. Alles Gute kommt von oben (wie die Apokalypse schon lange lehrt).
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1. kingdom come 2. the curtain has fallen 3. join the great majority 4. give up the ghost 5. be given a gentle push 6. the great adventure Literaturverzeichnis samt Linx Inhaltsverzeichnis und Gästebuch
life is a highly overrated phenomenon
Zur Theorie des männlichen Weltuntergangs bei Ulrich Horstmann

Diplomarbeit von Thomas Jöchler © 2000